Durch eine Immuntherapie kann das körpereigene Immunsystem mithilfe spezieller Präparate so manipuliert werden, dass es Krebszellen erkennen und zerstören kann. Warum die Ansprechraten bei diesem Verfahren oft sogar höher liegen als bei einer klassischen Chemotherapie.
Sogar unheilbare Stadien therapierbar
Spätestens seit der Zulassung des Medikaments Nivolumab gegen Hautkrebs im Jahr 2015 schöpft die Krebsforschung neuen Mut. Erstmalig lagen den Forschern Studien vor, die eindeutig belegten, dass sich das körpereigene Immunsystem mithilfe spezieller Präparate im Rahmen einer Immuntherapie so manipulieren lässt, dass es Krebszellen effektiv identifizieren und zerstören kann. Hierbei werden in manchen Bereichen Ansprechraten erreicht, die um ein Vielfaches höher liegen als beim Standardverfahren der Chemotherapie. Sogar unheilbare Stadien konnten bisweilen soweit therapiert werden, dass ein annähernd beschwerdefreies Leben möglich ist. Dabei wird der Krebs als solcher nicht vollständig geheilt, sondern chronifiziert. Die Forscher vermuten, das Immunsystem lasse sich soweit beeinflussen, dass es lernt, den Krebs in Schach zu halten.
Bereits selbst von Schwarzem Hautkrebs befallen
„Metastasierte Erkrankungen sind per Definition nicht heilbar“, erklärte Prof. Dr. Stefan Buchholz, Gynäkoonkologe im Caritas-Krankenhaus St. Josef im Interview über die Immuntherapie und ergänzte: „Bei metastasiertem Krebs versucht man den Krankheitsfortschritt zu verlangsamen oder zu stoppen und den Patienten zugleich eine hohe Lebensqualität zu ermöglichen. In den meisten Fällen bleibt den Patienten aber nicht mal mehr ein Jahr.“ Als die Studien zur Wirksamkeit der Immuntherapeutika veröffentlicht wurden, herrschte somit auch heller Aufruhr auf dem Amerikanischen Krebskongress ASCO. Ebenfalls anwesend und ebenso begeistert war auch Prof. Dr. Buchholz – jedoch ohne zu wissen, dass er bereits selbst von Schwarzem Hautkrebs befallen war.
Krebs durch Immuntherapie vollständig unter Kontrolle
Buchholz gehört jedoch zu jenen 30 Prozent der Hautkrebspatienten, die mit Hilfe von Immuntherapeutika zeitweise einen vollständigen Rückgang des Krebses erleben durften.
„Bei der Immunonkologie ist es erstmals gelungen, oder es sieht zumindest danach aus, einen infausten (unaufhaltsamen) Zustand bei Patienten mit Schwarzen Hautkrebs zu chronifizieren. Das heißt, der Krebs ist nicht weg, sondern vollständig unter Kontrolle, damit er sich im täglichen Leben und lebenswichtigen Abläufen nicht bemerkbar macht“, erläuterte Buchholz. Die Chronifizierung des Krebses ist auch das Primärziel der Immunonkologie. Eine Herangehensweise also, die sich grundlegend von der Chemotherapie, welche zytotoxische Präparate verwendet, unterscheidet. Prof. Dr. Buchholz bezüglich der unterschiedlichen Wirkungsweisen von Chemotherapie und Immuntherapie: „Bei der Chemotherapie wirft man quasi Atombomben auf den Krebs und versucht ihn so zu zerstören, während man die gesunden Zellen gleich mitzerstört. Die Immuntherapie hingegen bedeutet die Nutzbarmachung der eigenen Körperabwehr: Die Krebszelle wird vom Immunsystem erkannt und eliminiert.“
Lebenserwartung durch Immuntherapie auf fünf Jahre erhöht
Das Verhältnis zwischen Nebenwirkungen und Ansprechraten ist bei dieser Therapieform weitaus günstiger als bei der Chemotherapie. Lag die Lebenserwartung bei gestreutem Hautkrebs im Jahr 2010 trotz Therapie noch bei einem Jahr, können mit der Immuntherapie bereits fünf Jahre erzielt werden. In 30 Prozent der Fälle erreicht man dadurch sogar eine Remission des Krebses. Auch die Ansprechraten haben sich von 10 bis 15 Prozent auf 60 bis 65 Prozent erhöht. „Als wir das gehört hatten, wussten wir, dass es sich hierbei um einen Quantensprung innerhalb der Krebsforschung handelte“, so Prof. Dr. Buchholz.
Durch Antikörper Krebszellen identifizieren
Unsere Immunabwehr besteht aus verschiedenen Typen von Immunzellen mit unterschiedlichen Aufgaben. Einige davon sind damit beschäftigt, Fremdzellen zu identifizieren und zu markieren, während andere damit beauftragt sind, die markierten Zellen zu eliminieren. Krebszellen verfügen jedoch über die Eigenschaft, sich vor der Immunabwehr zu verbergen und sich als gesunde, körpereigene Zellen auszugeben. Will man sich das Immunsystem zunutze machen, muss man ihm also helfen, die Krebszellen zu identifizieren. Dies geschieht mittels Antikörpern, die an die präsentierenden Immunzellen andocken, um jenen Rezeptor zu blockieren, über den sich die Krebszelle als gesunde Zelle ausgeben kann. Ist die Kommunikation zwischen Immunabwehr und Tumorgewebe unterbrochen, beginnt das körpereigene Abwehrsystem, das bösartige Gewebe eigenständig zu bekämpfen. „Besonders gut funktioniert dies momentan beim Schwarzen Hautkrebs und verschiedenen Formen von Leber-, Lungen-, Blasen- oder Nierenkrebs. Bei anderen Krebsarten wie dem Brustkrebs allerdings noch nicht“, erläuterte Prof. Dr. Buchholz.
Mutagenität und Aggressivität wichtig für Effektivität
Weshalb dem so ist, konnte bis jetzt noch nicht umfassend geklärt werden. „Wir haben gelernt, dass der Krebs nicht so funktioniert, wie wir bis vor der Immuntherapie dachten. Man dachte immer, Krebs sei Krebs – nun lernen wir, dass es nicht ganz so ist. Um die Ansprechraten auf andere Krebsarten zu übertragen, müssen wir herausfinden, was genau die Krebstypen voneinander unterscheidet“, so Prof. Dr. Buchholz. Bis dato sind die Forscher zwar mehreren Hinweisen auf der Spur, was sie aber mit Gewissheiten sagen können, ist, dass bei der Effektivität der Immuntherapie die Mutagenität und Aggressivität des Krebses eine wichtige Rolle spielen. Das lässt sich auch an den verschiedenen Ansprechraten der verschiedenen Brustkrebstypen erkennen. „Wir haben grob fünf Brustkrebstypen – die aggressivste Form ist jene Form, die noch am ehesten auf die Immuntherapeutika anspricht. Weshalb das so ist, untersuchen wir noch.“
Nebenwirkungen der Immuntherapie
Wird das Immunsystem manipuliert, ist prinzipiell mit Nebenwirkungen zu rechnen. Diese schlagen sich dann vor allem auf den Darm nieder, unserem größten Immunorgan. Prof. Dr. Buchholz gehörte beispielsweise zu den 30 Prozent, die mit massivsten Nebenwirkungen zu kämpfen hatten, und lag wochenlang mit ausgeprägten Darmentzündungen auf der Intensivstation. Denn auch wenn das Verhältnis zwischen Ansprechrate und Nebenwirkungen deutlich besser ausfällt als bei der Chemotherapie, kann die Beeinflussung des Abwehrsystems von der klassischen Abgeschlagenheit und Müdigkeit über veränderten Leberwerten bis zu Darminfektionen, -entzündungen und Leberversagen führen. „Das wichtigste ist, die Lebensqualität des Patienten zu erhalten. Denn was nützt mir ein Medikament, wenn meine Leber kaputt ist?“ Daher gibt es auch keine Standardtherapie innerhalb der Immunonkologie.
Ausgleich zwischen Nebenwirkungen und Nutzen der Immuntherapie
Die Therapie wird immer nach dem Individualprofil des Patienten ausgerichtet: Alter, Konstitution und Vorerkrankungen müssen dabei genauso berücksichtigt werden wie die Biologie des Krebses selbst. „Unser Ziel ist es, mithilfe effektiver und nützlicher Therapiekombinationen einen Ausgleich zwischen dem Nebenwirkungsprofil und dem Nutzen herzustellen. Wenn der Hautkrebs soweit metastasiert ist, dass er in das Knochengewebe des Rückgrats gestreut ist, würden beispielsweise eine Immuntherapie und eine Strahlentherapie angesetzt werden. Die Strahlentherapie im Rückgratbereich würde vor allem gegen die Schmerzen helfen und dafür sorgen, dass die Metastasen im Knochen schneller eliminiert werden. Mittlerweile weiß man auch, dass sich diese beiden synergetisch ergänzen.“ Beruhigt sich der Krebs in den Knochen, kann es jedoch passieren, dass sich plötzlich Metastasen in der Leber bilden. Denn metastasierter Krebs verhält sich äußerst komplex: Bremst man das Wachstum an einem „Ende“ des Krebses, hier im Knochen, leitet das bösartige Gewebe die Wachstumsimpulse oftmals an einen anderen Ort um und wuchert z.B. in der Leber. In diesem Fall würde die Therapie weiterhin angepasst werden, um den Krebs effektiv zu bekämpfen.
Zehn Jahre Patienten-Erfahrung in der Immuntherapie
Das schwerwiegendste Problem in der Immuntherapie betrifft aber das Fehlen von Langzeitstudien. Aufgrund der Neuigkeit der Therapie wissen die Ärzte nicht immer, wie sie bei heftigen Nebenwirkungen reagieren sollen. Oft schlagen herkömmliche Medikamente, die die Nebenwirkungen abschwächen sollen, nicht an. „Hier kann man den Ärzten auch keinen Vorwurf machen. Wir haben gerademal zehn Jahre Patienten-Erfahrung. Wir wissen noch nicht genau, was das Medikament mit den Patienten macht“, betonte Prof. Dr. Buchholz. Deshalb kommt es durchaus vor, dass Patienten bedingt durch die Nebenwirkungen sterben oder die Medikation abgebrochen werden muss. Ebenso sind die Langzeiteffekte der Immuntherapie keinesfalls abschätzbar.
Muss dauerhafte Immuntherapie erfolgen?
„Doch selbst wenn ein Patient die Therapie gut verträgt, bleibt immer noch die Frage: Wie lange gebe ich die Therapie?“ Während es sich bei der Chemotherapie mehr oder minder einfach verhält, solange zu therapieren, solange die Therapie anschlägt und die Nebenwirkungen verträglich sind, stellt sich bei der Immunonkologie zusätzlich die Frage, ob das Immunsystem nun tatsächlich für den Krebs sensibilisiert wurde oder ob das Präparat weiterhin zugegeben werden soll? Hierbei muss man auch bedenken, dass sich durch die dauerhafte Zugabe Resistenzen züchten ließen. Diese Frage verschärft sich vor allem bei den 30 Prozent, die eine Remission des Krebses erleben. Denn als Therapeut ist es immer einfacher, solange zu therapieren, solange sich eine Krankheit therapieren lässt. Doch wenn der Krebs nicht mehr zu sehen ist, wird das mitunter problematisch. Prof. Dr. Buchholz betonte: „Normalerweise gibt man das Präparat alle zwei bis drei Wochen, anschließend kann man die Zeiten zwischen den Impulsen verlängern. Und wenn der Patient das gut verträgt, hat man das Gefühl noch präventiv zu therapieren – jedoch ohne Beweislage. In Deutschland therapieren wir in diesen Fällen weiter, in den Niederlanden allerdings nicht. Wer Recht behält, wird sich in den kommenden Jahren noch zeigen.“
Bis zu 10.000 Euro pro Monat
Ob in solchen Fällen weitertherapiert werden soll oder nicht, ist im deutschen Gesundheitssystem zum Glück keine finanzielle Frage. Denn die Immuntherapie ist teuer und sicherlich teurer als eine Standard-Chemotherapie. „Wir sprechen hier von Behandlungskosten zwischen 7.000 und 10.000 Euro pro Monat – nur für die Immuntherapie, da ist weder Diagnostik, noch eine begleitende Therapie enthalten“, gab Prof. Dr. Buchholz zu Bedenken. Kurz nach der Zulassung der Medikamente lag der Preis sogar noch zwischen 13.000 und 15.000 Euro pro Infusion. Wettbewerbsdruck konnte die Preise hierbei zum Glück etwas senken. Auch muss niemand mehr Angst haben, die Therapie nicht von den Kassen erstattet zu bekommen, denn die Immuntherapie hat sich in einigen Bereichen schon als Standardverfahren etabliert. „Mit unserem System haben wir den Vorteil, dass jeder, der das Medikament benötigt, dies auch erhält. Man kann über das System schimpfen, wie man will, aber effektive Therapien werden immer gezahlt“, so Buchholz.
Prof. Dr. Buchholz erlebte durch die Immuntherapie eine Remission des Schwarzen Hautkrebses und war zwischenzeitlich wieder Vollzeit als Gynäkoonkologe tätig. „Ich selbst habe nun auch das Problem, ob ich weitertherapiert werden soll oder nicht. Ich persönlich mache nun alle sechs Wochen die Therapie, bis ich nicht mehr weiter weiß. Das bringt mich in die Lage, dass ich meinen Patienten nun ganz anders gegenübertrete. Weil ich nun weiß, was es heißt, diese Diagnose gestellt zu bekommen und ihr ausgeliefert zu sein“, erklärte Buchholz.
Bedeutender Fortschritt – aber noch weiter Weg
Die Erkenntnisse der Immunonkologie stellen einen bedeutenden Fortschritt in der Krebsforschung dar. Dass Krebs nicht gleich Krebs ist, konfrontiert die Forscher zwar mit neuen Problemen, doch ohne dieses Wissen könnte sich die Krebstherapie und somit auch die Immuntherapie schwerlich weiter entwickeln. Prof. Dr. Buchholz unterstrich: „Unser jetziges Ziel lautet, herauszufinden, weshalb sich die Ansprechraten bei den Patienten und den Krebsarten unterscheiden, um anschließend die vorhandenen Therapien so klug zu kombinieren, dass wir bei allen Patienten und Tumorarten ähnliche Effekte erzielen wie beim Hautkrebs. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.“
Anmerkung: Nachdem er aufgrund der Immuntherapie jahrelang annährend symptomfrei mit der Krebserkrankung gelebt hat, hat Prof. Dr. med. Stefan Buchholz im Jahr 2019 leider den Kampf gegen den Krebs verloren.